„EWIGER“ KINDERGELDANSPRUCH: DROHENDE BEHINDERUNG DES KINDES VOR ERREICHEN DER ALTERSGRENZE REICHT NICHT AUS
Eltern steht für ein volljähriges behindertes Kind auch über dessen 25. Geburtstag hinaus ein Kindergeldanspruch zu, sofern die Behinderung vor Erreichen dieser Altersgrenze eingetreten ist. In diesen Fällen wird das Kindergeld sogar bis an das Lebensende des Kindes bzw. der Eltern gezahlt.
Nach einem neuen Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) stellt ein Gendefekt nur dann eine anzuerkennende Behinderung im Sinne dieser kindergeldrechtlichen Regelung dar, wenn das Kind durch diesen Defekt bereits vor dem Erreichen der Altersgrenze in seinen körperlichen Funktionen, geistigen Fähigkeiten oder seiner seelischen Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate vom alterstypischen Zustand abweicht und dadurch in seiner Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt ist.
Der Kläger war Vater einer im August 1968 geborenen Tochter, die an einer Muskelerkrankung litt. Trotz erster Symptome im Alter von 15 Jahren wurde die Erkrankung zunächst nicht erkannt. Die Diagnose erfolgte erst 1998. In der Folgezeit verstärkte sich die Muskelschwäche und 2005 wurde zunächst ein Grad der Behinderung von 50 und 2009 von 100 festgestellt. Die Tochter absolvierte eine Berufsausbildung und befand sich bis 2010 in einem Beschäftigungsverhältnis. Ab Oktober 2011 erhielt sie eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Vater beantragte 2014, ihm für seine Tochter ab Januar 2010 Kindergeld zu gewähren. Dies lehnte die Familienkasse mit dem Hinweis darauf ab, dass die Behinderung nicht vor Vollendung des 27. Lebensjahres (damals geltende Altersgrenze) eingetreten sei. Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen gerichteten Klage für die Monate statt, in denen die Mittel der Tochter nicht zur Deckung ihres notwendigen Lebensbedarfs ausgereicht hatten.
Der BFH folgte in zweiter Instanz jedoch der Sichtweise der Familienkasse und verwies darauf, dass der Kindergeldanspruch voraussetzt, dass die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten ist. Nach Meinung der Bundesrichter reicht es nicht aus, wenn eine Behinderung vor Erreichen der Altersgrenze zwar droht, aber noch nicht eingetreten ist. Der BFH hielt daher die bisherigen Feststellungen des FG für nicht ausreichend. Das FG war zwar auf der Grundlage des festgestellten Grades der Behinderung für die streitigen Monate ab 2011 zu Recht vom Vorliegen einer Behinderung ausgegangen. Für die Frage, ob die Behinderung bereits vor Vollendung des 27. Lebensjahres – also bis August 1995 – eingetreten war, hatte das FG aber zu Unrecht bereits den festgestellten angeborenen Gendefekt ausreichen lassen.
Hinweis: Der BFH hob das Urteil des FG auf und verwies die Sache zurück zur anderweitigen Verhandlung. Das FG muss nun in einem zweiten Rechtsgang nähere Feststellungen zu der Frage treffen, ob der Gendefekt bei der Tochter bereits vor Erreichen der Altersgrenze zu Funktions- und Teilhabebeeinträchtigungen geführt hatte.